Gutmensch – Unwort des Jahres 2015

„Gutmensch, der“, laut Duden ein „[naiver] Mensch, der sich in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend o.ä. empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält, sich für die Political Correctness einsetzt“.

Jedes Jahr wird von deutschen Sprachwissenschaftlern die Wahl zum Unwort des Jahres durchgeführt, um die Bevölkerung für den Umgang mit Sprache zu sensibilisieren. Für das Jahr 2015 fiel die Wahl zum Unwort des Jahres auf den Begriff „Gutmensch“, weil er im vergangenen Jahr in der Flüchtlingsdebatte immer wieder von rechtspopulistischen Parteien aber auch von einigen Leitmedien für freiwillige Helfer verwendet wurde. Es werden all jene abwertet, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren. Ihre Einsatzbereitschaft wird als naiv und weltfremd dargestellt.

Wir Freiwilligen des Vereins „Freund statt fremd“ haben zu dem Thema einige Stimmen zusammengetragen:

Nora: Ehrenamtliches Engagement sollte nicht als naives Gutmenschentum angesehen, sondern in der Bevölkerung wertgeschätzt werden. Denn schließlich leisten Freiwillige in ganz Deutschland Abhilfe an den Stellen, an denen die Politik an ihre Grenzen stößt. Integration kann nicht durch reine Sachleistungen funktionieren, sondern braucht vor allem den persönlichen Bezug und den Umgang mit den Menschen.

Hiltrud: Was ist das für eine komische Welt/Gesellschaft in der „Gutmensch“ ein Unwort ist.

Brigitte: Ich finde es generell nicht gut, dass „Gutmensch“ als Unwort gilt. Ich finde es gut wenn ein Mensch gut ist und auch Gutes tut. Und genau das bedeutet das Wort für mich. Wenn andere Menschen so etwas negativ darstellen ist das eher ein Problem der Verwendung des Wortes als des Wortes selber. Ich befürchte, dass das einige nicht verstehen und jetzt die negative Bedeutung mit Helfen gleichsetzen. Es wird außerdem ja immer von den naiven Helfern gesprochen in dem Zusammenhang. Hilfe hat mit Menschlichkeit zu tun und die wird gern mit Naivität gleichgesetzt. Keiner kann alles wissen, daher ist Menschlichkeit immer naiv und in keinem Fall schlecht.

Clemens: Ich finde das Wort „Gutmensch“ ist zu Recht zum Unwort des Jahres 2015 gewählt worden. Es ist doch ganz einfach: Wenn jemand etwas Gutes tun, sich engagieren, der Gesellschaft etwas zurück geben will, dann sollte das nicht verhöhnt werden. Im Gegenteil, man sollte sich unterstützend zeigen. Menschen, die Engagierte als „Gutmenschen“ bezeichnen sind meiner Meinung nach neidisch und haben einen beschränkten Horizont. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, dass es Leute gibt, die nicht viel reden, sondern anpacken und vor Ort helfen. Das sind die Helden des Alltags.

Ronja: Eine Gesellschaft in der das Wort „Gutmensch“ eine Beleidigung ist, hat wohl ein Problem!

Lena: Wir Studenten freuen uns, dass wir uns in unserer Freizeit mit Flüchtlingen beschäftigen und ihnen somit den Einstieg in die deutsche Gesellschaft etwas vereinfachen können. Wir nehmen sie bei der Hand und begleiten sie. Wir helfen. Es ist sehr schade, dass es immer Leute gibt, die meckern, die meinen, man dürfe das nicht, die meinen, es sei bloß Aktivismus. Ich
finde das unberechtigt, beschränkt und leider auch deutsch. Wir sehen doch, wie es den Leuten geht, die hier her kommen. Wir sollten uns empfänglich und freundlich zeigen. Und denen, die sich eben so zeigen Respekt zollen anstatt sie zu verunglimpfen. Das Unwort des Jahres 2015 ist “Gutmensch”. Völlig zurecht.

Rudi: „Gutmensch“ ist zum Unwort ernannt worden weil es meistens ironisch eingesetzt wird. Ich frage mich dann immer, wer möchte denn das Gegenteil zu einem guten Menschen sein? Was ist daran so schlimm, Toleranz und Willkommenskultur zu leben, auf andere Menschen zuzugehen anstatt sich aus irrationalen Ängsten abzuschotten in der vergeblichen Hoffnung, dass einen die Probleme der Welt dann nicht ereilen? Wenn mich jemand als „Gutmensch“ beschimpfen möchte, fasse ich es stattdessen als Kompliment auf.

Jessica: Ich frage mich, ob das in den anderen Ländern auch so ist, die viele Flüchtlinge aufnehmen. Ist es in Schweden auch so, dass es einen Teil der Gesellschaft gibt, der sich engagiert und einen anderen, der über den ersten herzieht und sie als “Gutmenschen” bezeichnet? Ich weiß es nicht und es ist auch egal. Hier ist es so und das ist schlimm genug. Warum wird jeder, der hilft, der sich freiwillig in seiner freien Zeit engagiert erstmal gemustert und skeptisch angeguckt. Der Begriff des “Gutmenschen” ist eine Ohrfeige für alle, die am LAGESO helfen, für alle Freiwilligen, für alle, die helfen wollen und dies interessiert tun. Jeder, der andere als “Gutmenschen” bezeichnet, sollte sich mal in die Position der zahlreichen Flüchtlinge denken. Vielleicht hilft das, die eigene Weltsicht etwas zu erhellen. Ich bin sicher: “Gutmensch” ist die einzig richtige Wahl zum Unwort des Jahres 2015.

Joelle: Vor einigen Tagen stand im Fränkischen Tag: „Das Ziel des Lebens ist das Gute“ (Leo Tolstoi)

Ute: Aus aktuellem Anlass habe ich mal englische Wörter im Deutschen gegoogelt: mensch: Ein moralischer, anständiger Mensch – Gibt einem zu denken, oder?

Sylvie: „Gutmensch“ wird als diffamierende Beschreibung idealistischer Menschen, die den Geflüchteten dieser Welt mit Empathie entgegentreten, verwendet – wobei übersehen wird, dass die vermeintlich naiven Helfer die Verhältnisse dieser doch in vielen Teilen kranken Welt reflektieren und ein Bewusstsein darüber besitzen, dass wir alle nur durch Zufall in unseren behäbigen Wohlstand hineingeboren wurden. Insofern haben die vermeintlichen Gutmenschen vermutlich mehr Realitätssinn als diejenigen, die die Folgen ihres Handelns in einer globalisierten Welt meinen dauerhaft ignorieren zu können und keinen Bezug ihres Lebens zur weltweiten Flüchtlingsproblematik herstellen können. Ich bin kein naiver Gutmensch – hoffe aber, in der Rückschau irgendwann von mir sagen zu können, dass ich ein guter Mensch gewesen bin.

Christine: Was könnte dagegen sprechen, dass wir danach streben, gute Menschen zu sein? Für mich heißt das u .a.: sich immer wieder darin üben, mitmenschlich und mitfühlend zu handeln.
– Nora –