„Stolz kommt von Unterdrückung“ – ein Kurde und eine Irakerin erzählen

Die Veranstaltungsreihe „Begegnung mit…“ im Lui20 ist neu: In diesem Format sind Menschen mit Migrationshintergrund die Experten. Sie erzählen ihre Geschichte, berichten von ihrer Familie, ihren Interessen und ihrem Beruf – und bringen Interessierten so auf eine ganz andere Weise ein Land und seine Kultur nahe als die Nachrichten dies tun.

Wie Ibo Mohamed am 28. April: Er spricht erst einmal über Berge. Schließlich haben die Erhebungen seiner Heimat das kurdische Volk über Jahrhunderte hinweg vor dem Krieg beschützt. Sie haben sie aufgenommen, als man sie aus ihren Städten verbannte. Unterdrückung drang nicht bis zu den Hügeln vor, die sich hier, im Norden Syriens, sanft erheben und weit verschlungene Tunnelsysteme in sich hüten. „Die Berge“, sagt Ibo Mohamed, „das sind die einzigen Verbündeten, die den Kurden geblieben sind.“

Rund 50 Besuchern hat Mohamed am Samstagabend in der Vortragsreihe „Begegnung mit …“ im Lui20 aus seinem Leben als Kurde berichtet, während Florian König den Vortrag mit kurdischen Liedern begleitete. Wie undurchsichtig die Lage der Kurden ist, zeigt die Statistik: Schätzungen zufolge gibt es 30-50 Millionen Kurden; damit sind sie das größte Volk der Welt, das kein eigenes Land besitzt. Über Syrien, Irak, Iran und die Türkei verteilt leben die meisten Kurden, wenige auch in Israel und Afrika. Genaue Zahlen zu bekommen, ist kompliziert, Statistiken sind oft manipuliert. Genauso kompliziert ist auch die politische Lage der Kurden – heute wie damals.

Eigene Sprache verboten

Historisch betrachtet waren die Kurden einer türkischen Unterdrückungspolitik ausgesetzt. Ankara hat dem kurdischen Volk den Gebrauch der eigenen Sprache verboten, das war 1983. Bis heute werden Kurden gesellschaftlich ausgegrenzt. Mohamed, der bei seinen Eltern in der Stadt Quamishli im Nordosten Syriens aufwuchs, hat diese Ausgrenzung erlebt. Weil er keinen syrischen Pass hatte, verwehrte ihm der Staat den Zugang zum Studium. Und auch eine Beschäftigung beim Staat sei ohne das Dokument nicht möglich gewesen.

Natürlich habe es Widerstand gegeben, berichtet Mohamed, in den Zeitungen sei davon aber wenig zu lesen gewesen. Zum Beispiel über die Unruhen von Quamischli im Jahr 2004, als syrische Sicherheitskräfte friedvolle, kurdische Fans nach einem Fußballspiel niederschossen. Der Versuch, einen unabhängigen Staat Kurdistan zu errichten, scheiterte zweimal. Vor zwei Jahren stimmten 92 Prozent für eine Unabhängigkeit, das Referendum wurde als verfassungswidrig erklärt.

Weltoffene Kurden

Es sind diese Geschichten, die im Denken der Kurden fest verankert sind. Sie schüren den Stolz, der bisweilen in blanken Hass umschlägt. Doch gebe es auch die andere Seite der Kurden, wie Mohamed sagt: Frauen würden in der kurdischen Gesellschaft auf Augenhöhe mit Männern leben. Religion sei nie ein Problem gewesen, jeder respektiere den Glauben des anderen. „Die Kurden sind weltoffen“, sagt der 21-jährige Auszubildende. Man habe gelernt, bestimmte Dinge mit Humor zu nehmen. Bei der Weltmeisterschaft unterstützen die meisten in Mohameds Heimatstadt Deutschland, weil viele hier Familie und Freunde haben.

Humor höre allerdings bei der eigenen Identität auf. „Wir wollen nur das, was andere Kulturen auch haben.“ Dass Kurden an Wahlen teilnehmen und Feste feiern dürfen, dass jeder Syrer gleichbehandelt wird, das ist für Mohamed und seine Landsleute nicht verhandelbar. Noch sei man davon weit entfernt. Und solange das so bleibt, werde der nationale Stolz immer wieder zu Unruhen führen. „Der Stolz kommt von der Unterdrückung“, sagt Mohamed.

Das Neujahrsfest heißt bei den Kurden „Nouruz“ und findet traditionell im Mai statt. Dann steigen die Kurden mit brennenden Fackeln auf ihre Berge und entzünden die Nacht. Frei übersetzen kann man „Nouruz“ übrigens auch mit dem Wort Freiheit. An diese glaubt Ibo Mohamed immer noch.

Tiba über das Leben im Irak

Freiheit und Sicherheit sind auch für Tiba wichtig. Die Irakerin, die in Bagdad geboren wurde, hatte einen Monat aus ihrem Leben berichtet. Die interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer erfahren viel über das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt, die Landwirtschaft, die medizinische Versorgung und darüber, welche Rolle der Staat bei allem spielt. 

Tiba kennt den Irak fast ausschließlich im Krieg: Nacheinander hat sie den zweiten Golfkrieg, den Irakkrieg und zwei Zivilkriege erlebt. Es gab kein sauberes Wasser, kaum Lebensmittel und Medikamente. Während des Irakkriegs 2001 war sie auf dem Gymnasium und hörte von weitem die Luftanschläge. Sie freute sich, als zwischenzeitlich Hoffnung auf bessere Zeiten aufkeimte, aber dann kam es 2015 zur Erstarkung des Islamischen Staats (IS). Während dieser Zeit arbeitete Tiba im Krankenhaus. Es hätte Explosionen gegeben und viele Verletzte, die dort eingeliefert wurden, berichtet sie

Tiba und ihr Mann suchten Frieden für die Familie. Nachdem ihr Mann eine Anstellung als Arzt in Deutschland bekommen hatte, verließen sie 2015 ihr Land. Seit ungefähr vier Jahren ist die Familie nun in Bamberg. Innerhalb von eineinhalb Jahren hat Tiba Deutsch bis zum Niveau C1 (fast muttersprachlich) gelernt und nach mehreren Prüfungen ihre deutsche Approbation als Apothekerin erhalten. Seit einem halben Jahr arbeitet sie als Apothekerin in der Region. An Deutschland schätzen sie und ihr Mann, dass sie ihr Leben selbst gestalten können und eine sichere Zukunft vor sich haben.

Eröffnet worden war die Veranstaltungsreihe vom syrischen Maler Farid Georges am 3. Februar. Geplant sind nun ‚Begegnungen‘ in losen Abständen. Termine siehe Kalender!

Text: Andreas Scheuerer und Sarah Dahnen / Bilder: Andreas Scheuerer