Nieselregen und frostige Kälte – sicher kein Wetter für gemütliche Nachmittage an der frischen Luft. Aber noch lange kein Grund zuhause zu bleiben, wenn es darum geht, ein Zeichen gegen fragwürdige Politik zu setzen. Das dachten sich viele der knapp 70 Protestierenden, die sich am Freitag des 11. November gegen 15:30 Uhr vor der CSU-Parteizentrale in der Luitpoldstr. 55 versammelten, um gegen das bayerische Integrationsgesetz zu protestieren.
Das Ziel der Aktion: Aufmerksam machen gegen das geplante „Integrationsgesetz“, welches den Namen nicht verdiene. Denn geht es nach der bayerischen Landesregierung, soll sich ab dem 1. Januar 2017 in der Integrationsarbeit einiges bewegen, nur eben in die falsche Richtung, wie viele Ehrenamtliche befürchten. Anstatt die Integration von Flüchtlingen zu fördern, würden ihnen neue Regeln auferlegt. So drohen künftig beispielsweise Sanktionen gegen Flüchtlinge, die keine Sprachkurse besuchen. Sprachkurse, die kaum oder nur unzureichend vorhanden sind, weil es an der Finanzierung mangelt.
Anstatt vorhandene Probleme zu lösen, erschafft die CSU nach Auffassung der ehrenamtlichen Streikenden neue. „Über konstruktive Lösungsansätzen, wie eben eine Finanzierung von Sprachkursen, wird im sogenannten Integrationsgesetz kein Wort verloren“, kritisiert Sylvia Schaible, eine der Organisatorinnen von Freund statt fremd. „Dafür fällt oft „Leitkultur“, ein Begriff der wohl zur freien Interpretation ausgeschrieben ist, weil er weder definiert wird, noch verfassungsrechtlich haltbar ist – nach dem sich Geflüchtete aber künftig gefälligst zu richten haben.“
„Nicht in unserem Namen!“ hieß deshalb das Motto der Protestaktion am Freitag, anlässlich derer auch der Forderungskatalog von Freund statt fremd vorgestellt wurde. „Wir ehrenamtliche Helfer wissen aus erster Hand, dass echte Integration nur durch Förderung gelingen kann – und nicht durch Forderungen oder gar Drohungen.“
Forderungskatalog von Freund statt fremd
Das geplante „Integrationsgesetz“ der CSU-Staatsregierung wirft unseren ehrenamtlichen Integrationsbemühungen viele
Steine in den Weg, denn …
… das Motto „Fördern und Fordern“ ist eine Mogelpackung: Es wird viel gefordert und gedroht (mit teilweise detaillierten Sanktionsmaßnahmen), aber Fördermaßnahmen und Zuständigkeiten bleiben unkonkret, Aussagen zur Finanzierung fehlen völlig.
… der Begriff „Leitkultur“ zieht sich durch den ganzen Gesetzentwurf, wird aber nirgends definiert und ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.
… das Gesetz gilt auch für deutsche Staatsbürger mit im Ausland geborenen und nach 1955 zugewandertem Eltern-/Großelternteil. Will man „Halb- und Viertel-Migranten“ definieren, ähnlich wie bei den Nürnberger Gesetzen von 1935 „Halb- und Vierteljuden“?
… es drohen Sanktionen, wenn Sprachkenntnisse nicht erlangt werden, aber: es fehlen Kurse, dafür nötige Kinderbetreuung, mancherorts ÖPNV-Möglichkeit, um zum Kurs zu kommen.
… es setzt ein Sonderstrafrecht speziell für Migranten, so dass eine Missachtung der demokratischen Werteordnung unter Strafe gestellt wird, die auch jetzt schon für alle Personen hierzulande strafbar ist.
…. es ermächtigt die Polizei, jederzeit in Asylunterkünfte einzudringen und diese zu durchsuchen, auch ohne konkreten Verdacht, was einen starken Eingriff in freiheitliche Grundrechte bedeutet, welche dieses Gesetz angeblich gerade verteidigen will.
… die Schulpflicht wird für alle Kinder in Asyl-Aufnahmeeinrichtungen ausgesetzt, was der UN-Kinderrechtskonvention, dem Grundgesetz und der EU-Aufnahmerichtlinie widerspricht.
… vom Gesetz Betroffenen kann der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen (z.B. Schwimmbad, Bibliothek) verwehrt bzw. eine vorherige Belehrung aufgezwungen werden.
Ein bayerisches Integrationsgesetz – gerne, aber nicht so! Was uns fehlt:
- Eine Reform des Schulsystems, das Lehrkräfte bei der Integration von migrierten und mehrsprachig aufwachsenden Kindern stärkt, Sprachförderung an den Schulen, Übergangsklassen, vorschulische Angebote – und deren Finanzierung!
- Förderung interkultureller Kompetenz in Schulen, Behörden, Krankenhäusern usw.
- Flächendeckende, ausreichende Asylsozialberatung in ganz Bayern – und deren Finanzierung!
- Reform bei der Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse, Nachqualifizierungsmöglichkeiten, Teil-/Anerkennung beruflicher Vorerfahrungen
- Partizipation und Mitgestaltungsmöglichkeiten von Migranten, damit sie sich Staat und Gesellschaft zugehörig fühlen. Der im Gesetz erwähnte Integrationsrat wird nur ermöglicht (Kann-Bestimmung), Besetzung, Zuständigkeit und Befugnisse sowie Finanzierung bleiben unerwähnt.
- Bedarfsgerechte und erreichbare Angebote zum Deutschlernen und deren Finanzierung
- Politische Erwachsenenbildung für neue Eingewanderte
- Anerkennung und Pflege der Herkunftssprache und Wertschätzung von Mehrsprachigkeit als Kompetenz
- Wohnbauförderprogramm mit wirklich attraktiven Förderkonditionen
- Stärkung und Wertschätzung des Ehrenamts