Im November haben die ersten internationalen Freund-statt-fremd-Praktikanten ihr Praktikum in der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) geleistet. Raffaela, Viktoriia, Glib und Konstantin sind Studenten aus Deutschland, der Ukraine und Moldawien. In ihrem Praktikum gewannen sie Einblicke in die tägliche Integrationsarbeit und verbesserten gleichzeitig studienbegleitend ihre Deutsch- und Didaktikkenntnisse. Freundstattfremd.de hat mit Raffaela und Viktoriia gesprochen.
Raffaela und Viktoriia sind beide Anfang 20. Raffaela kommt aus Coburg, Viktoria aus Odessa. Das liegt am Schwarzen Meer in der Ukraine. Viktoriia (21) hat in ihrer Jugend bereits die Maidan-Bewegung in ihrem Land miterlebt, Raffaela ist 22, studiert in Bamberg Lehramt für die Mittelschule. Sie ist im 5. Semester. Viktoriia hat den Bachelor in Germanistik an der Universität von Odessa absolviert. Ihre Biographien könnte also kaum unterschiedlicher sein – und doch haben die beiden jungen Frauen viele Gemeinsamkeiten. Denn beide haben ein Praktikum absolviert, beide wollten Einblicke in die Integrationsarbeit mit Geflüchteten gewinnen. Für Raffaela ist es aber auch ein Pflichtpraktikum. Sie braucht es für ihr Studium. Viktoriia war freiwillig in Deutschland und will Erfahrungen im Umgang mit Muttersprachlern sammeln.
Während die oben beschriebene Ausgangssituation vor dem Beginn des Praktikums für die in Bamberg lebende Coburgerin Raffaela kein Problem darstellt, mussten Viktoriia und auch Glib (22) extra aus der Ukraine anreisen. Konstantin (22) kam aus Moldawien nach Bamberg. Über das European Associates Program der Dekabristen“, eine Organisation, die jungen Menschen aus Moldawien und der Ukraine Kurzpraktika in Deutschland ermöglicht, kamen die drei schließlich zu Freund statt fremd nach Bamberg. Für die Dauer des Praktikums wohnten sie bei Vereinsmitgliedern.
Spielzimmer, Café Willkommen und zwei Deutschkurse
Während der vier Praktikumswochen war jeder Tag vollgepackt. „Wir haben nicht nur Deutsch unterrichtet, sondern auch das Spielzimmer in der AEO betreut“, berichten Raffaela und Viktoriia. Seit kurzem kam nun auch das Café Willkommen dazu, „das Anfang Dezember in der AEO seine Türen geöffnet hat und Flüchtlingen in der AEO einen Ort der Gemeinschaft und der Kommunikation bietet“, ergänzt Raffaela. Sie bleibt noch bis Februar 2017 in der AEO, um dort zu hospitieren. Ihre Studienordnung will es so. „Ich brauche dieses Praktikum für ein Seminar, das ich gerade besuche“, erklärt sie.
Aber die beiden wollen auch helfen und einen Beitrag leisten. In ihrer Heimat hat Viktoriia bereits Erfahrungen mit Kindern und Erwachsenen gesammelt. Sie habe zu Hause im Radio von der Situation hier erfahren und gehört, dass speziell in Deutschland Helfer gesucht werden, die beispielsweise Deutsch als Fremdsprache unterrichten können. „So kam schließlich der Kontakt zu den Dekabristen und zu Freund statt fremd zu Stande“, erklärt die Ukrainerin.
Neben dem Spielzimmer und dem Café Willkommen übernahmen die jungen Damen deshalb auch zwei Sprachkurse, die sie gemeinsam für je zwei Stunden pro Woche leiteten. Dabei handelte es sich auch um eine reine Frauengruppe. Die Teilnehmerinnen kamen aus dem Iran, dem Irak, Syrien und Russland. „Insgesamt waren etwa 15 Frauen in diesem Kurs“, sagt Raffaela. Die Verständigung lief problemlos. „Und wenn wir mal in einen Erklärungsnotstand gerieten, dann haben wir eben auf Russisch oder Englisch weitergemacht, um einfach im Stoff weiterzukommen“, antwortet die Coburgerin auf die Frage nach der Kommunikation zwischen ihr selbst, Viktoriia und ihren Schülerinnen.
Dankbar für Erfahrungen
Schwieriger war es in dieser Hinsicht mit der zweiten Gruppe aus Eritrea, die Viktoriia und Raffaela unterrichteten. „Die Menschen aus Eritrea sprechen logischerweise anders. Entscheidend ist aber, dass sie keine lateinische Schrift erlernt haben und dazu auch noch einen anderen Kalender führen“, beschreibt Viktoriia die grundsätzlich andere Ausgangssituation. „Man startet also bei null und beginnt zuallererst mit der Alphabetisierung“, ergänzt Raffaela. „Vor allem und gerade bei Erwachsenen erfordert es ein ganz anderes Lerntempo“, fährt Viktoriia fort. Darauf müsse man sich im Unterricht einstellen.
Besonders wertvoll war für die beiden aber auch der direkte Kontakt zu Menschen, die aus einer ganz anderen Welt in das für sie völlig fremde Europa gekommen sind und denen sie nicht nur im Unterricht, sondern auch bei der Kinderbetreuung im Spielzimmer oder beim Dienst im neu eingerichteten Café Willkommen begegnet sind. „Es waren ganz neue Perspektiven, die wir bei der Arbeit mit geflüchteten Menschen kennenlernen durften“, bestätigen beide. Viele seien verängstigt, manche sogar traumatisiert. „Und Angst hemmt“, weiß Viktoriia. „Beim Lernen sowieso, aber auch in allen anderen alltäglichen Lebensbereichen kann man sehen, dass Angst wie eine zentnerschwere Last wirkt, die man ständig mit sich herumschleppt“, sagt sie. „Diese Belastung ist bei den geflüchteten Menschen deutlich zu spüren. Wir haben versucht, ihnen diese Angst zu nehmen, indem wir auf die Erwachsenen und Kinder zugegangen sind.“ Man dürfe dabei nicht zu forsch vorgehen, sondern eher abwartend, aber trotzdem freundlich und offen. Hilfe anbieten sei da ein guter Ansatz, „den die meisten dann auch akzeptieren.“ Wichtig sei es, dass die Kommunikation in Gang komme.
Sich Tag für Tag mit solchen und ähnlichen Situationen im Umgang mit geflüchteten Menschen auseinanderzusetzen, das erweitert zweifellos den Horizont. Für diese Erfahrung sind Raffaela und Viktoriia dankbar. Ihren Platz nimmt jetzt ein neuer Praktikant ein, während Raffaela dann im Februar von ihrem Nachfolger abgelöst wird. Wie es „den Neuen“ dabei ergeht, darüber berichten wir selbstverständlich hier bei freundstattfremd.de.
Freund statt fremd vergibt Praktika an Studenten und jene, die sich orientieren wollen. Für 2017 sind weitere Plätze frei. Bewerbt Euch jetzt unter ehrenamt@freundstattfremd.de.
Text: Enno Jochen Zerbes, Fotos: V. Zykina