Seit Dezember letzten Jahres hat das „Café Willkommen” geöffnet. Dorthin zu kommen, ist gar nicht so einfach. Denn das Café befindet sich auf dem Gelände der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO). Um zum Café zu gelangen, müssen Besucher, die nicht in der AEO wohnen, zuerst die Sicherheitskontrolle überwinden. Wer dort nicht als Gast angemeldet ist, darf das eingezäunte Gelände und das Café nicht betreten.
Willkommen im AEO-Land
„Zwei Mal rechts, dann sind sie da“, sagt der Mann vom Sicherheitsdienst. „Block 4, erster Eingang, erster Stock, links“, ergänzt er kurz und knapp den Weg zum Café Willkommen. Die Schranke öffnet sich. Willkommen im AEO-Land. Oder: Willkommen im ehemaligen Zuhause der amerikanischen Besatzungsmacht. Das ist lange her. Heute wohnen hier, auf dem ehemaligen US-Areal in Bambergs Osten, Menschen, die aus Angst um ihr Leben, vor Krieg und der Not aus Staaten wie Syrien, Iran, Irak, Afghanistan, Eritrea, Somalia oder von anderswo geflohen sind – aus Ländern, gegen die sich die USA teilweise im Krieg befanden, befinden, an deren Seite sie kämpften bzw. dies aktuell tun. Und das mit Soldaten, von denen viele wohl auch in Bamberg stationiert waren. Einer davon lebte wahrscheinlich in genau der Wohnung, in der sich heute das Café Willkommen befindet. Es kann ein beklemmendes Gefühl sein, wenn sich ein Kreis schließt. Diesen Ort, wo einst die Beschützer von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten wohnten, betritt man heute ein bisschen wie ein Gefängnis, obwohl es keines ist. Ein merkwürdiges Gefühl.
Krieg, Angst, Hunger, Perspektivlosigkeit, Europa – und manche: Bamberg
Die Geschichte der in der AEO lebenden Menschen verläuft Grunde immer gleich. Krieg, Angst um Leib und Leben, Hunger, Perspektivlosigkeit, Europa – und für manche von ihnen: Bamberg. Auch der bisherige Lebensweg von Zakaria folgt diesem Muster. Der 26 Jahre junge Syrer kommt aus Aleppo, jener Stadt, die wie kein anderer Ort auf dieser Welt für die Flüchtlingswelle der letzten Jahre steht. Seine Familie lebt noch dort, inmitten der totalen Zerstörung. Seit gut vier Monaten ist er hier in der AEO. Die Flucht von Aleppo bis nach Bamberg dauerte gut ein Jahr. „Die Situation in Aleppo ist sehr schlimm.“ Zakaria weiß das aus erster Hand – von seinen Eltern. Sie sind in Aleppo geblieben. „Ich telefoniere jeden Tag mit ihnen“, ergänzt er in einem Mix aus Deutsch und Englisch, während er Teewasser aufsetzt. Wir verstehen uns. „Sie leben, das ist das Wichtigste.“ Zakaria ist ein Teil der vierköpfigen Café Willkommen-Besatzung, die an diesem Freitag Dienst hat. Mit dabei sind auch noch Katharina, Dorothea und Franziska, sie sind Deutsche. „Willst Du einen arabischen Kaffee?“, fragt Zakaria und setzt den Namen das Cafés sogleich in Taten um.
Rückzugsort und Ort der Begegnung
Das Café Willkommen wurde von Freund statt fremd ins Leben gerufen. Es wird ausnahmslos von ehrenamtlichen Helfern betrieben und finanziert sich aus Spenden. Die meisten Helfer sind Mitglieder von Freund statt fremd. „Die Menschen, die in der AEO leben, müssen hier für die Getränke selbstverständlich nichts bezahlen“, erklärt Katharina. „Es ist aber auch nicht unsere vorrangige Aufgabe, den Besuchern des Cafés Getränke zu bringen. Klar: Wir sind da, sperren auf, kaufen ein und halten das Café am Laufen. Selbstverständlich sind wir aber auch Ansprechpartner – zum Reden, zum Trösten, zum Beruhigen“, bringt die Studentin das Konzept auf den Punkt. Das Café sei eine Insel, ein Ort der Begegnung, ein Ort des Rückzugs für jene, die etwas Privatsphäre suchen. Und davon gibt es viele, der Andrang ist groß. Heute sind gut 20 bis 30 Frauen, Kinder und junge Männer da. Viele seien sehr schüchtern, beinahe ängstlich und wollen anfangs einfach nur in Ruhe gelassen werden, erzählt Dorothea. So wie Jonas* und sein Freund. Die beiden Eritreer ziehen sich in ein Zimmer zurück und spielen Uno. Sie möchten allein sein, unter sich sein. Aus ihren Augen sprechen Angst und Misstrauen. Was sie wohl auf ihrer Flucht erlebt haben? Das Café Willkommen gibt ihnen Zeit und Raum – Zeit für sich selbst, Zeit zum Verarbeiten und Räume, in die sich die Menschen zurückziehen können. „Die Menschen hier haben Unvorstellbares erlebt. Mit dem Café wollen wir eine freundliche, warme Atmosphäre schaffen, in der wir diesen Menschen helfen, sie unterstützen, ihnen gut zureden, ihnen vielleicht etwas Selbstvertrauen zurückgeben, zeigen, dass sie respektiert und wertgeschätzt werden, und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen“, beschreibt Dorothea das Selbstverständnis der Helfer im Café. Auch für den kleinen Sami sind sie da. Sami ist vielleicht acht Jahre alt. Er hätte gerne Kekse. „Drei?“, fragt er ängstlich und lächelt als ich ihm die Keksschachtel hinhalte. Manchmal geht es also auch einfach nur um kleine Gesten, die ein Lächeln in ängstliche Gesichter zaubern. Denn die Ängste, Sorgen und Nöte sind allgegenwärtig. Wie eine zentnerschwere Last schleppen die Menschen sie mit sich herum. Es ist kein Geheimnis: Das macht krank. Das Café Willkommen will so etwas wie ein kleiner Anfang für die Genesung sein. Das gelingt bei manchen, bei vielen nicht.
Deutschkurs und Frisör
Dorothea, die eben noch einen Tee serviert hat, sitzt jetzt mit einer jungen Frau am Tisch und lernt Deutsch – vermutlich für einen der Deutschkurse, die hier in den Räumen des Cafés stattfinden. Auch heute. Heute ist das Franziskas Aufgabe. Katharina versucht unterdessen, sich mit einer aufgeregten Besucherin zu verständigen und zu klären, warum ihr Name aus dem Terminplan des Friseurs gestrichen wurde, der einmal wöchentlich im Café Willkommen Frauen, Männern und Kindern die Haare schneidet. Die nette Frau lässt sich beruhigen, nimmt auf der gemütlichen Couch Platz und trinkt einen Chai. Es wird sich eine Lösung finden. Das ist die gute Nachricht. Unterdessen klären Katharina und Franziska das Weitere. Alltag im Café Willkommen.
*Name von der Redaktion geändert.
Text u. Fotos: Enno Jochen Zerbes