Es ist ein beklemmendes Gefühl hier zu sein. Vor mir befindet sich eine riesige Schranke. Sie erinnert an einen Grenzübergang aus längst vergangenen Zeiten. Bewacht wird sie von Sicherheitskräften. Als ich mich ihr nähere, kommen diese sofort auf mich zu. „Kann ich Ihnen helfen?“, werde ich in strengem Ton gefragt. „Ich möchte zum Spielzimmer von Freund statt fremd“, entgegne ich. „Können Sie sich ausweisen?“, werde ich weiter befragt, als schon die Helferinnen vom Spielzimmer kommen, um mich mit hineinzunehmen. Denn ohne vorherige Anmeldung kommt man nicht auf das Gelände der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken, kurz AEO. 2015 wurde sie als Ankunfts- und Rückführungszentrum (ARE) auf dem ehemaligen US-Kasernengeländeeröffnet und 2016 erweitert. „Das ist eigentlich als positiv zu bewerten, dass hier so viel Security ist. Sie dient vor allem dem Schutz derBewohnerinnen und Bewohner“, erklärt mir auf der kurzen Fahrt Johanna, eine der Frauen, die sich in ihrer Freizeit im Spielzimmer engagieren. „Die AEO könnte auch ein potentielles Anschlagsziel sein.“ Mein mulmiges Gefühl meldet sich zurück.
Als wir im Spielzimmer ankommen, verschwindet es jedoch vollkommen in dieser völlig anderen Welt. Bereits im Treppenhaus begrüßt uns lautes Kinderlachen. Das Spielzimmer wurde erst vor wenigen Minuten geöffnet, doch die Kinder tollen bereits ausgelassen umher. Vor zwei Jahren eröffneten Johanna und Ulrike von Freund statt Fremd e.V. das Spielzimmer in einer Vier-Zimmer-Wohnung, die dem Verein hierfür von der AEO zur Verfügung gestellt wird. So erhielten die hier lebenden Kinder eine Möglichkeit, sich mal richtig austoben zu können.
Thematische Räume
Das Spielzimmer öffnet zurzeit an vier Tagen der Woche am Nachmittag für etwa zwei Stunden. Und diese Stunden nutzen die Kleinen auch: Es wird getobt, gerannt, gebastelt oder mit Karten oder Bauklötzen gespielt. Da die Kinder hier alle unterschiedlichen Alters sind, besitzt das Spielzimmer verschiedene thematische Bereiche. Für die Kleineren verwandelte sich ein Raum in die „Puppenecke“, für die etwas Größeren entstand in einem anderen Zimmer der „Kickerraum“. Das dritte Zimmer wurde mit unzähligen Kuscheltieren gefüllt. Das vierte und größte Zimmer stellt einen Gemeinschaftsraum dar, in dem entweder am Tisch gemeinsam gebastelt und gemalt oder auf dem Boden mit Spielzeugautos oder Bauklötzen gespielt wird.
Nicht nur das Alter der Kinder, auch die Herkunftsländer und -kulturen unterscheiden sich. Das hindert sie aber nicht daran, gemeinsam richtig Spaß zu haben. Heute sind vor allem Kinder aus Tschetschenien und dem Iran hier. Leider gibt es hier ein ständig wechselndes Publikum. „Meine ganzen Eritreakinder kommen gar nicht mehr“, bedauert Jana, die für ihr Studiums ein Praktikum im Spielzimmer absolviert. Vor ein paar Wochen waren sie noch zum Spielen hier, doch wo sie nun sind, weiß sie nicht genau. „Vermutlich wurden sie abgeschoben.“
Besondere Voraussetzungen
Dass es sich um Flüchtlingskinder handelt, macht die Beschäftigung mit ihnen zu einem besonderen Ereignis. Das merke ich nicht nur, als ich meine Kamera zücke, um ein paar Fotos zu schießen. Denn plötzlich bin ich von mehreren Kindern umgeben, die mich mit großen Augen ansehen. Technische Geräte bekommen sie hier eher selten in die Hände, und das macht sie so spannend. Ich gebe einem Mädchen meine Kamera. Sie drückt fasziniert alle möglichen Knöpfe durcheinander. Voller Begeisterung ruft sie etwas in einer fremden Sprache. Mir wird noch etwas klar: Die Verständigung mit den Kleinen hier erfolgt anders, denn die meisten sprechen kein Deutsch. Dann muss man sich auch mal mit Gesten zu helfen wissen. Als gerade ein paar der kleinen Rabauken etwas zu laut werden, erklärt mir eine der Betreuerinnen mit einem Augenzwinkern: „Wenn man sie ermahnt, tun sie manchmal so, als ob sie einen nicht verstehen würden. Aber eigentlich wissen sie ganz genau, was man meint.“ Trotz ihrer Fluchtgeschichten sind sie also immer noch richtige Kinder geblieben.
Die zwei Stunden vergingen wie im Fluge und es wird Zeit aufzuräumen. Als wir die Spielzeugautos zurück in ihre Kiste verstauen wollen, fällt plötzlich auf, dass einige fehlen … Ein paar Kinder scheinen sie zum Spielen mitgenommen zu haben. „Ich kann‘s ihnen nicht verdenken“, meint Bärbel, eine der Ehrenamtlichen. „Sie haben bei sich nun mal keine Spielsachen. Aber das geht eben trotzdem nicht.“ Es ist traurig, dass die Kinder ins Spielzimmer kommen müssen, um zu spielen, denke ich. Als ich in ihrem Alter war, hatte ich mehr als genug Spielsachen zu Hause. Aber ohne das Spielzimmer und das Engagement der Ehrenamtlichen hätten die Kinder in der AEO gar keine Möglichkeit zu spielen.
Nachdem die restlichen Sachen alle wieder sicher zurück an ihren Platz geräumt wurden, bekommt jedes Kind als Belohnung für die Mithilfe noch etwas Schokolade mit auf den Heimweg. Das haben die Ehrenamtlichen hier einmal eingeführt, um die Kinder zum Aufräumen zu motivieren. Seitdem scheint es ganz gut zu klappen. Auch ich mache mich mit einem Lächeln auf dem Gesicht wieder auf den Weg zurück durch die graue Welt der AEO. Und ich weiß, dass ich die Kinder und ihre Lebendigkeit und Freude bereits jetzt vermisse.
Das Spielzimmer wird von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern von Freund statt Fremd e.V. betrieben. Derzeit öffnet es montags bis donnerstags für etwa zwei Stunden am Nachmittag. Etwa 19 Frauen und Männer engagieren sich dabei regelmäßig bei der Betreuung der Kinder. Um die regelmäßigen Öffnungszeiten zu garantieren und auch noch erweitern zu können, benötigt der Verein weitere Unterstützung! Dabei ist es nicht notwendig, viel Zeit zu investieren, wichtiger ist es, regelmäßig zur Verfügung zu stehen, z.B. einmal wöchentlich. Wer Interesse hat an einem Engagement im Spielzimmer, schreibt bitte an spielzimmer@freundstattfremd.de. Auch über Spielzeugspenden und Bastelmaterialien freuen sich die Kinder!
Weitere Möglichkeiten des Engagements vermittelt die Ehrenamtskoordinatorin unter ehrenamt@freundstattfremd.de
Text und Fotos: Nina Kretzer