Freund statt fremd hat die 49. Bamberger Mahnwache Asyl am 16. Juli 2018 mitgestaltet und neben Beiträgen von Karen Stein und Petra Öckler, die mit Booten von “Sea-Watch” Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet haben, eine Rede zur EU-Migrations- und Asylpolitik beigetragen.
Martin Jansens Rede stellen wir interessierten Leserinnen und Lesern hier zum Nachlesen zur Verfügung:
Liebe Freundinnen und Freunde!
Es gibt doch noch Gutes auf der Welt und wir haben es in den vergangenen Wochen live an unseren Fernsehern miterleben dürfen. 12 junge Fußballer und ihr Trainer wurden in Thailand von den Wassermassen des Monsunregens in einer Höhle eingeschlossen. Die dramatische Rettungsaktion mit mehr als 1000 internationalen Helfer*innen konnten wir auf allen Medien-Kanälen mitverfolgen.
Die Jungen wurden gerettet. Die Rettungstaucher werden als Helden gefeiert. Die Welt atmet erleichtert auf. In einer einzigartigen internationalen Kooperation ist die unfassbar schwierige und auch für die Rettungskräfte höchst gefährliche Rettung geglückt.
Auch die deutsche Bundesregierung ist erleichtert: “Wie so viele Menschen auf der ganzen Welt haben wir mitgefiebert”, twitterte Außenminister Heiko Maas. “Jetzt ist die Erleichterung riesig.” Regierungssprecher Steffen Seibert freute sich über “eine wunderbare Nachricht”. Es sei so vieles zu bewundern: “Der Durchhaltewille der tapferen Jungs und ihres Trainers, das Können und die Entschlossenheit der Retter.”
Am Tag nach der Rettung verkündet ein auf christliche Epen spezialisierter Hollywoodproduzent die aufwändige Verfilmung des dramatischen Rettungseinsatzes. FIFA-Chef Infantino lädt die Jungen zum WM-Endspiel nach Moskau ein (Fußballer müssen schließlich zusammenhalten …) und Thailand verkündet, den Ort der spektakulären Höhlenrettung, die Tham-Luang-Höhle, zur neuen Touristenattraktion auszubauen.
Auch wir freuen uns über die glückliche Rettung der 13 Jungen. Doch die Rettungsaktion hatte auch ein Opfer zu beklagen: Wer erinnern heute an den tragischen Tod des thailändischen Rettungstauchers Saman Gunan, der bei dem Versuch, die eingeschlossenen Jungen aus ihrem Höhlengefängnis zu befreien, sein Leben ließ.
* * *
Wir erinnern heute aber auch an die zahllosen Menschen, die auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ihr Leben ließen. Menschen, für die es keine Rettung gab, keine mediale Aufmerksamkeit, ja, von denen in vielen Fällen nicht einmal der Name oder die Nationalität bekannt sind.
Nach Schätzungen von Ärzte ohne Grenzen sind allein in der ersten Woche der spektakulären Höhlen-Rettung in Thailand im Mittelmeer 220 Bootsflüchtlinge ertrunken. Unter ihnen sicher auch einige junge Fußballer. Doch es gibt keinen FIFA-Vertreter, der an sie erinnert, keine deutsche Bundesregierung, die ihren Tod betrauert.
Nach UN-Angaben haben in den letzten dreieinhalb Jahren 16.346 Menschen ihr Leben im Massengrab Mittelmeer verloren (Stand Juni 2018). Dabei ist die Anzahl der Menschen, die das Mittelmeer überquerten, um von Libyen nach Italien zu gelangen, in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 74% gesunken. Laut UNHCR hat sich jedoch der Anteil der Migranten, die auf diesem Weg ums Leben kamen, mehr als verdoppelt.
Wenn die sicheren Fluchtwege geschlossenen werden, Hilfeleistungen verweigert, reduziert oder sogar verhindert werden, dann werden die verbleibenden Fluchtrouten gefährlicher. Die Antwort der EU auf solche Berichte und Zahlen zeigt Strategien auf, die an Zynismus und an Missachtung von elementaren humanistischen Errungenschaften des menschlichen Zusammenlebens nicht zu überbieten sind.
Wir beklagen:
- Fehlendes politisches Interesse an der Rettung von Flüchtlingen, die Abschottung und die Schließung der Grenzen, die Kappung auch legaler Zugangswege
- Zunehmende Strategien der Fluchtverhinderung, v.a. durch Kriminalisierung der Retter*innen, durch die Weigerung, Schiffe mit Flüchtlingen anlegen zu lassen, durch die Beschlagnahmung von Aufklärungsflugzeugen usw.
Wir beklagen:
- Die emotionale Abstumpfung von Entscheidungsträger*innen, die politisch-administrative Entmenschlichung und einen allgemein gravierenden Empathieverlust. Unglaublich, aber wahr: Die Toten im Mittelmeer werden zur Durchsetzung von politischen Zielen einfach in Kauf genommen.
Die skrupellose Zusammenarbeit der EU bzw. von Staaten der EU mit Regierungen und Nicht-EU-Staaten, die nicht einmal ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit für Flüchtlinge aufweisen. So wurde z.B. in der vergangenen Woche ein italienisch-libyscher „Freundschaftsvertrag“ in Teilen wieder reaktiviert, den bereits Berlusconi und Gaddafi vor 10 Jahren ausgehandelt hatten. In diesem Vertrag sind – gegen italienische Geldleistungen – speziell Maßnahmen zur Verhinderung der Überfahrt von Geflüchteten sowie die systematische Übernahme der Hilfseinsätze von NGOs durch die libysche Marine erwähnt. - Die Planung einer Beteiligung der EU an unkontrollierbaren Elendslagern in Nordafrika in Form von sog. „Ausschiffungsplattformen“, d.h. Auffanglager außerhalb der EU, in die Bootflüchtlinge auf dem Mittelmeer nach ihrer möglichen Rettung wieder „ausgeschifft“ werden und in denen dann darüber entschieden wird, wer als Flüchtling anerkannt wird. Das heißt: Nur wer als Flüchtling anerkannt wird, hat das Recht, europäischen Boden zu betreten. Und nur wer europäischen Boden betritt – oder Schiffe, die unter europäischer Flagge laufen – hat die Möglichkeit, europäisches Asylrecht einzuklagen und sich auf die Gültigkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berufen.
- Den grundlegenden Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Im Artikel 2 des Vertrags der Europäischen Union heißt es: »Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Frei-heit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte …« PRO Asyl kritisiert, dass die aktuellen Beschlüsse in hohem Maße das Völkerrecht brechen. Zitat: „Am Umgang mit Flüchtlingen zeigt sich, wie verlässlich das Versprechen Europas ist, die Menschenrechte einzuhalten.“
Liebe Freundinnen und Freunde. Geschichte wiederholt sich.
Im Juli 1938 trafen sich in Evian am Genfer See Delegierte von 32 Staaten, um über die Aufnahme der existenziell bedrohten jüdischen Flüchtlinge und Verfolgten des Nazi-Regimes zu beraten. Die Konferenz endete in einem Desaster: Kein europäisches Land erklärte sich bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen oder wenigstens die Einreisebedingungen zu lockern.
Migazin.de schreibt dazu:
80 Jahre später, Ende Juni 2018, trafen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder, um über die europäische Migrations- und Asylpolitik zu beraten und eine gemeinsame Strategie zur Lösung der „Flüchtlingskrise“ zu verabschieden. Die Ergebnisse sind so niederschmetternd wie schockierend: mit einer Erbarmungslosigkeit ohne Gleichen, abgrundtiefen Härte und Kaltschnäuzigkeit einigten sich die Teilnehmer auf Richtlinien und Beschlüsse, in deren Fokus Ausgrenzung, Abschreckung, Schutzverweigerung, Abwehr und Auslagerung des Flüchtlingsschutzes stehen.
Ein Deja-Vu der Schande – dieser Gipfel wird 80 Jahre nach Evian als „Gipfel der Inhumanität, der Ignoranz und des Zynismus“ in die Geschichte eingehen. Denn 80 Jahre nach Evian scheinen die Lehren der Geschichte wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Diese führten nach 1945 zur Etablierung der Menschenrechte und eines in völkerrechtlichen Konventionen verankerten internationalen Flüchtlingsschutz-Systems, das ein zweites „Evian“ für immer verhindern sollte.
Die Evian-Konferenz-Beobachterin Golda Meïr schrieb später:
Dazusitzen, in diesem wunderbaren Saal, zuzuhören, wie die Vertreter von 32 Staaten nacheinander aufstanden und erklärten, wie furchtbar gern sie eine größere Zahl Flüchtlinge aufnehmen würden und wie schrecklich Leid es ihnen tue, dass sie das leider nicht tun könnten, war eine erschütternde Erfahrung. […] Ich hatte Lust, aufzustehen und sie alle anzuschreien: Wisst ihr denn nicht, dass diese verdammten ‚Zahlen‘ menschliche Wesen sind, Menschen, die den Rest ihres Lebens in Konzentrationslagern oder auf der Flucht rund um den Erdball verbringen müssen wie Aussätzige, wenn ihr sie nicht aufnehmt?
Die Geschichte und das moralische Versagen der Regierenden scheinen sich heute zu wiederholen. Das ist traurig und gleichzeitig sehr gefährlich. Deshalb benötigen wir umso mehr eine starke Zivilgesellschaft. Wir benötigen Solidarität, individuelle Wertschätzung und ein menschliches Miteinander. Und wir benötigen Menschen, die sich engagieren, dieser Missachtung und Pervertierung christlicher und sozialer Werte kraftvoll und engagiert entgegen zu treten. Deshalb sind wir heute hier. Vielen Dank.