Mit großer Spannung wurde die am 27.9. von Freund statt fremd und dem Migranten- und Integrationsbeirat der Stadt Bamberg ausgerichtete Podiumsdiskussion zur Landtagswahl am 14. Oktober erwartet. Insgesamt fünf Kandidatinnen und Kandidaten kamen der Einladung der beiden Veranstalter nach, um sich den asyl- und migrationspolitischen Fragen der Moderatoren zu stellen.
Podiumsdiskussion zur Landtagswahl mit fünf Kandidaten
Martin Jansen vom Arbeitskreis Politik begrüßte das Publikum und die fünf Kandidatinnen und -kandidaten im Lui20, den Räumen für interkulturelle Begegnung. Den Fragen der Moderatoren Mitra Sharifi Neystanak und Heinrich Schwimmbeck stellten sich vor etwa 70 Zuhörern die DirektkandidatInnen Iris Fischer (mut), Heinz Kuntke (SPD), Martin Pöhner (FDP) und Ursula Sowa (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN), sowie der Listenkandidat Gerhard Zimmermann (DIE LINKE), der kurzfristig für den erkrankten Paul Lehmann einsprang. Die Politikerinnen und Politiker vertreten ihre jeweiligen Parteien im Stimmkreis 402 Bamberg-Stadt. Nicht erschienen sind Staatsministerin Melanie Huml, die als Direktkandidatin im Stimmkreis Bamberg-Stadt für die CSU antritt und der Kandidat der Freien Wähler, Dietmar Schutty. Die AfD wurde nicht eingeladen.
Die Themen, mit denen die Parteivertreterinnen und -vertreter konfrontiert wurde, orientierten sich an den auf freundstattfremd.de kürzlich veröffentlichten Wahlprüfsteinen zur Asylpolitik.
Aktuelle Bayerische Asylpolitik: Restriktiv, populistisch, “unchristlich”, integrationsfeindlich
Zur Bewertung der gegenwärtigen bayerischen Asyl- und Migrationspolitik übten alle Podiumsteilnehmer scharfe Kritik an der restriktiven Asyl- und Flüchtlingspolitik der bayerischen Staatsregierung.
Die Flüchtlingswelle Ende 2015 habe Bund, Länder und Kommunen vor Herausforderungen gestellt, die zu einem großen Teil durch ehrenamtliche Helfer, durch die politisch Handelnden sowie auch durch Gelder des Freistaates Bayern und der Kommunen bewältigt wurden, sagte Heinz Kuntke (SPD). Leider habe die AfD die Situation dazu genutzt, um mit Populismus und Parolen die Menschen zu verängstigen und nach rechts zu treiben.
Auch Martin Pöhner (FDP) zeigte sich angesichts des von AfD und CSU verbreiteten Populismus, mit dem beide Parteien bei diesem Thema agieren, sehr besorgt.
Als Kritik an der aktuellen Politik darf man wohl verstehen, wenn Ursula Sowa (Bündnis90 / Grüne) zeichnet ein Wunschbild von einer “offenen liberalen Gesellschaft” zeichnet, von einem Land, das “wirklich den Menschen gehört, die in diesem Land leben und arbeiten” und in dem “jeder, der hier dazukommt, sich willkommen fühlt”.
Gerhard Zimmermann (DIE LINKE) sprach von einem „bayerischen Sonderweg, der zu Gunsten einer Wahltaktik für eine Landtagswahl jedes Maß verloren hat.“ Diese Politik müsse geändert werden.
Sehr deutlich wurde auch Iris Fischer: „Ich finde die aktuelle Asylpolitik in Bayern einfach gruselig und eines Landes nicht würdig, das christliche Symbole in Amtstuben aufhängen möchte“, sagte die Betriebswirtin, die bei der Landtagswahl für die Partei mut antritt. Wie auch Zimmermann kritisierte Fischer die Regierungspartei CSU für ihre Strategie, die AfD rechts zu überholen.
Aufhorchen ließ Fischer mit der Idee, Menschen die Möglichkeit zu geben, bereits in ihrem Heimatland einen Asylantrag zu stellen, um ihnen den gefährlichen Fluchtweg zu ersparen.
Kritik an einzelnen konkreten Inhalten der bayerischen Asylpoltik wurde von Pöhner und Sowa, die ein Einwanderungsgesetz in den Vordergrund ihrer Ausführungen stellen, nicht formuliert. Kuntke, Zimmermann und Fischer griffen die von der bayerischen Regierung verhängten Ausbildungs- und Arbeitsverbote an, letztere beiden auch die Abschiebungen nach Afghanistan und von sich aus die flüchtlingsfeindlichen Verhältnisse eines Anker-Zentrums.
Einwanderungsgesetz als Lösung?
Im Zusammenhang mit Abschiebungen einerseits und unbesetzten Arbeitsplätzen v.a. in Handwerk in Pflege wurde von Heinz Kuntke (SPD), Ursula Sowa (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN) und Martin Pöhner (FDP) ein Einwanderungsgesetz als Lösung thematisiert und befürwortet.
Heinz Kuntke forderte: „Geflüchteten, die nach Bayern kommen, muss die Möglichkeit gegeben werden, so schnell wie möglich zu arbeiten.“ „Aus diesem Grund plädiere ich für ein Einwanderungsgesetz. Das muss so schnell wie möglich kommen.“
Martin Pöhner sprach sich dafür aus, den Bereich Asyl und Einwanderung klar zu trennen. ” Hier vertreten wir seit vielen Jahren die Meinung, dass wir in Deutschland ein Einwanderungsgesetz benötigen, dem sich CDU und CSU in der Vergangenheit verweigerten.“ Er könne sich ein Punktesystem vorstellen, das transparent mache, in welchen Berufen Zuwanderung erforderlich sei. Andererseits brauche Bayern faire Asylverfahren, die einen sogenannten “Spurwechsel” zulassen. „Wird z. B. jemand abgelehnt, der sich aber intensiv um Integration bemüht, dann muss das Einwanderungsgesetz diesen Menschen schützen und ihm Einwanderung ermöglichen“, so Pöhner.
Ursula Sowa gab sich ebenso als langjährige Befürworterin eines Einwanderungsgesetzes zu erkennen. Sie geht von einem hohen Zuwanderungsbedarf aus: „Wir brauchen pro Jahr eine Million Menschen, wenn wir den Stand von heute bis 2050 halten wollen“, sagte die Architektin. Auf Nachfrage teilte sie ihre Einschätzung mit, dass mit dem bestehenden Bedarf an Fachkräften alle abgelehnten Asylbewerber untergebracht werden können. „Was wir ablehnen ist, dass wir Menschen nach reinem Nutzen zuwandern lassen. Wir befürworten in diesem Punkt eine großzügige Auslegung.“
Iris Fischer (mut) plädierte für ein großzügig ausgelegtes Einwanderungsgesetz, das nicht nach Berufsgruppen selektiert. Ein Einwanderungsgesetz sei indes in Zimmermanns Partei (DIE LINKE) zwar noch nicht durchgefallen, aber sehr umstritten. „Fest steht, dass Regeln, wie sie ein Einwanderungsgesetz aufstellen würde, die Menschen auf Grund ihrer Verwertbarkeit im Produktionsprozess selektiert. Das ist inhuman“, sagte Zimmermann.
Dezentrale Unterbringung vs. AnkER-Zentrum
Sehr kontrovers wurde dagegen das Thema „AnkER-Zentrum“ diskutiert. Für das Bündnis 90 / DIE GRÜNEN ist es generell vorstellbar, Menschen gemeinsam in Unterkünften unterzubringen. Ursula Sowa relativierte jedoch explizit die Art der Unterbringung in AnkER-Zentren. „Aus der Sicht meiner Partei ist es nicht die Aufgabe von Einrichtungen wie dem AnkER-Zentrum, Menschen zu isolieren und sie wieder zurückzuschicken.“ Die Vision von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN sei es, Menschen in einem ganz normalen Wohnviertel willkommen zu heißen und so zu integrieren, dass sie dort wohnen können, Arbeit bekommen und Deutschkurse besuchen.
„Ich finde es richtig, Asylverfahren möglichst konzentriert und in wenigen Monaten durchzuführen“, sagte Martin Pöhner (FDP). „Im Vergleich zu anderen Staaten in Europa sind die Lebensbedingungen in der Bamberger Einrichtung sehr gut.“ Allerdings hält Pöhner die Zahl der Geflüchteten, die zur Zeit im AnkER-Zentrum wohnen, für zu hoch. Hier wünscht er sich eine Obergrenze von 500, maximal von 750 Bewohnern und sprach sich daher für die Verteilung der Menschen auf ein zweites, noch nicht existierendes AnkER-Zentrum in Oberfranken aus.
Iris Fischer von mut positionierte sich eindeutig gegen AnkER-Zentren. In Bezug auf die vorherige Aussage von Martin Pöhner sagte Fischer, dass selbst 750 Menschen eine extrem große Zahl sei. „Wir wollen, das Menschen dezentral untergebracht werden.“ Außerdem seien Kinder besonders zu schützen. „Wenn Kinder mitkriegen, dass Polizeieinsätze stattfinden, das geht gar nicht, die werden retraumatisiert und das ist zu verhindern“, so die mut-Kandidatin.
Eine vollständige Abschaffung der AnkER-Zentren hält die SPD indes für illusorisch. Vielmehr müssen die Wohn- und Lebensbedingungen in den Zentren verbessert werden. Wie auch Martin Pöhner von der FDP sprach sich Heinz Kuntke von der SPD für eine Verkleinerung des Bamberger AnkER-Zentrums aus. Kuntke hält die AnkER-Zentren für sinnvolle Einrichtungen, wenn man das Ziel verfolge, Asylverfahren zu beschleunigen. Anders als Ursula Sowa von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN will der ehemalige Richter jedoch das Argument, dass AnkER-Zentren die Abschiebung erleichtern, nicht zählen lassen.
DIE LINKE positionierte sich klar gegen das Konzept der konzentrierten Unterbringung in AnkER-Zentren. Die Alternative wäre eine dezentralisierte Unterbringung. LINKE-Kandidat Gerhard Zimmermann kritisierte die Aussage von Heinz Kuntke (SPD), der eine Abschaffung des AnkER-Zentrums für abwegig hält. Das sei eine politische Entscheidung, entgegnete Zimmermann. „Wenn sich also der politische Wille ändert, dann kann es sein, dass AnkER-Zentren in der Zukunft möglicherweise nicht mehr existieren.“
Keine Einladung zur Beteiligung an der Demokratie
Mit einer speziellen Frage wollten die Veranstalter von den Kandidaten erfahren, ob sie “die aktuelle bayerische Politik geeignet finden, Geflüchtete zur Teilhabe an unserer demokratischen Gesellschaft einzuladen”. Unter SPD, FDP, Bündnis 90 / DIE GRÜNEN, DIE LINKE und mut herrschte ein breiter Konsens darüber, dass auf gesellschaftlicher Ebene Vereine und Helferkreise durch entsprechende Angebote sehr gute Arbeit geleistet haben. Es gäbe zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass diese Angebote von Geflüchteten aktiv wahrgenommen werden, sagte etwa Iris Fischer (mut). „Die restriktive Politik der Staatsregierung entmutigt jedoch viele Helfer und Geflüchtete“, ergänzte Gerhard Zimmermann (DIE LINKE) an. „Eine Politik, die den Geflüchteten gegenüber immer wieder deutlich macht, dass sie ein Problem sind, das weggehört, ist kontraproduktiv.“ Man dürfe nicht damit rechnen, dass diese Menschen Gefallen an unserer Gesellschaft finden, fuhr Zimmermann fort.
Unterschiedlich weit gehende Ablehnung bei Abschiebungen nach Afghanistan
Abschiebungen nach Afghanistan lehnten die anwesenden Kandidatinnen und Kandidaten ab. Entgegen der bayerischen Regierungsauffassung ist Afghanistan für keinen der auf dem Podium anwesenden Parteivertreter ein sicheres Herkunftsland, wenngleich SPD und FDP Abschiebungen von Straftätern ins Heimatland gut heißen. Bündnis 90 / DIE GRÜNEN will bis zum Inkrafttreten des Einwanderungsgesetzes alle Geflüchteten im Land halten, danach dann aber Menschen, die gegen das Grundgesetz verstoßen, durchaus abschieben.
mut und LINKE sprachen sich konsequent gegen JEDE Form von Abschiebung nach Afghanistan aus. Während Gerhard Zimmermann von der LINKEN in dieser Frage die Doppelmoral des Rechtsstaates kritisierte, nach der Geflüchtete, die als Straftäter auffallen, kein Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren haben, sondern direkt abgeschoben werden, stellte Iris Fischer (mut) in diesem Zusammenhang die Frage nach der tatsächlichen Anzahl der Afghanistan-Abschiebungen. „Bevor wir hier dem CSU-Schreckgespenst folgen, müssen wir uns fragen, über wie viele Abschiebungen wir tatsächlich sprechen.“ In Wirklichkeit seien es sehr wenige, sagte Fischer.
Fazit der Veranstalter
Die Organisatoren von Freund statt fremd und dem Migranten- und Integrationsbeirat der Stadt Bamberg sowie die Diskutanten bedauerten das Fernbleiben der CSU-Direktkandidatin und Staatsministerin Melanie Huml sowie der Freien Wähler, die sich beide in den Wahlprüfsteinen ähnlich restriktiv geäußert hätten. „Sie hätte eigentlich hier sitzen müssen und sich zu dem Thema äußern müssen“, sagte auch Heinz Kuntke stellvertretend für die Podiumsteilnehmer. Von der Möglichkeit, eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter für die Podiumsdiskussion zur Landtagswahl zu benennen, hatten die beiden Parteien keinen Gebrauch gemacht.
Die Veranstalter lobten die Diskussionsfreudigkeit der Teilnehmer und die positive Atmosphäre der Diskussion. Sie wunderten sich darüber, dass die Landtagskandidaten manche Themen nicht vernehmbar angesprochen haben, so z.B. das Problem unfairer Asylverfahren, einer insgesamt abschreckenden Asylpolitik oder der teilweise unzureichenden Einhaltung von Grund- und Menschenrechten. Ein Mitglied des Veranstalterkreises stellt zu den Bedingungen im Ankerzentrum fest: “Die extrem belastenden, unseres erachtens unhaltbaren, Zustände in dieser und in solchen Einrichtungen sind bei der Poltik offensichtlich noch nicht angekommen. Da haben wir weiterhin viel und dringend Vermittlungsarbeit zu leisten.”
Text: Heinrich Schwimmbeck / Fotos: Judith Siedersberger, Martin Jansen