Die Covid-Infektionszahlen und der Lockdown machen sich auch im Lui20 bemerkbar. So gut wie alle Veranstaltungen, Workshops, Seminare und Kurse fallen bis auf Weiteres aus. Ausgenommen davon sind einige wenige Deutschkurse, die “virtuell gehen”. Z. B. auch Judiths Kurs. So einfach ist das. Oder auch nicht.
Anstatt des Präsenzunterrichtes, der eigentlich in den Kursräumen des Lui20, dem interkulturellen Begegnungszentrums des Vereins Freund statt fremd, stattfindet, treffen sich die insgesamt sechs Teilnehmer*innen von Judiths B1-Deutschkurs digital. Zu einer Zoom-Session.
Technische Hürden
Bereits zum dritten Mal bietet Judith den Deutschkurs virtuell an. Bevor es aber soweit war, musste die 27-jährige einige Herausforderungen meistern. „Nicht alle Teilnehmer*innen verfügten zu Beginn z. B. über ein Laptop, geschweige denn über ausreichend schnelles Internet“, erklärt die Anglistikstudentin. „Da mussten wir einiges organisieren.“
Ahmed kommt aus Syrien, Ali aus dem Iran. Beide gehen zum Deutschkurs nach wie vor in das Lui20. Judith hat den Schlüssel. Kurz vor Unterrichtsbeginn radelt sie also ins Lui20, sperrt für die beiden auf und flitzt sogleich wieder nach Hause, wo sie sich dann für den Kurs vor ihr eigenes Laptop setzt. Anders ginge es wohl nicht. Denn Ahmed und Ali wohnen in der Aufnahmeeinrichtung (AEO). „Da ist das Internet nicht immer konstant schnell“, sagen beide. Im Lui20 sei das anders. Also sitzen die beiden dort vor einem alten Laptop. Es läuft noch mit Windows XP! „Da gab es z. B. die Schwierigkeit, Zoom überhaupt zum Laufen zu bringen“, blickt Judith zurück. Aber auch diese Hürde haben Judith, Ali und Ahmed genommen. Jetzt funktioniert die Kommunikation.
Dreimal die Woche Deutschkurs
Im Deutschkurs mit dabei sind auch Rawezh aus dem Irak und Natalia und Anzhelika aus Russland. Die beiden Damen teilen sich, wie Ahmed und Ali, ein Laptop. Nur Hussein fehlt heute. Dem Syrer, der sonst bei Judith in der WG lebt, geht es gar nicht gut. Er liegt im Krankenhaus, wo er in diesen Tagen operiert wird. Traurige Gesichter in der Runde. Als Beobachter spürt man sofort, die Reaktionen sind aufrichtig. Das ist auch kein Wunder: „Die Gruppe versteht sich sehr gut. Wenn es geht, unternehmen wir auch privat wirklich viel zusammen“, sagt Judith. Auch deshalb trifft sich der Kurs nicht nur zweimal, sondern gleich dreimal die Woche zum Unterricht.
Deutsche Redensarten
Bei aller Traurigkeit um Hussein, der Spaß darf auch an diesem Freitag trotzdem nicht zu kurz kommen. Witz und Humor sind für den Lernerfolg sehr wichtig. Ali z. B. liebt es, deutsche Redensarten zu lernen. Zum Beispiel diese: „Dazu habe ich keine Meinung.“ Der Spruch kommt total trocken und passt so gar nicht zum Kontext, denn Judith geht gerade die Hausaufgabe – einen Text zum Oktoberfest – durch und versucht, den Begriff „Dirndl“ zu erklären. Das sorgt für eine ganz spezielle Situationskomik im Unterricht, der von dieser Art Humor sehr profitiert.
„Die Teilnehmer*innen dürfen nicht das Gefühl haben, sie stünden einem echten Lehrer gegenüber“, erklärt Judith. Sie weiß, wovon sie redet. Denn sie hat das erste Lehramt-Staatsexamen erfolgreich hinter sich gebracht, bevor sie auf Anglistik umsattelte. Die Rolle des Lehrers verbreite automatisch ein Autoritätsgefühl, das oftmals hemmend wirke, sagt sie. Und Judith, die seit Juli dieses Jahres für Freund statt fremd und seit 2018 für den Verein Känguruh e.V. Sprachkurse gibt, tut genau das Gegenteil: Sie ist eine echte Frohnatur. Sie lacht! Viel! Und Ahmed, Ali, Natalia, Anzhelika und Rawezh lachen mit. Man merkt deutlich, dass alle hier eng befreundet sind. Jede*r fühlt sich in dieser Gruppe wohl. Obwohl die deutsche Sprache für alle nicht unbedingt einfach zu erlernen ist, auf dieser sprichwörtlichen Wohlfühl-Insel, die sich Judith mit ihren Schüler*innen geschaffen hat, erscheint diese Aufgabe wesentlich leichter. Die humorvolle Atmosphäre sorgt für einen lockeren Umgang und spielerisches Lernen. Mit einem eindeutigen Ergebnis: Das Sprachniveau aller Teilnehmer*innen ist erstaunlich gut.
Alle wollen Party
Themenwechsel. Jetzt geht es um Urlaub. Dieses Thema lässt alle träumen. Judith bringt die Konversation in Gang, indem Sie ihre „Schüler*innen“ dazu animiert, alles, was ihnen zu Urlaub und Ferien einfällt, aufzuschreiben und anschließend vorzutragen. Bei diesen Schlagwörtern fällt das besonders leicht. Rawezh gerät ins Schwärmen, wenn er von seinem Traumurlaubsziel Spanien erzählt. Anzhelika liebt es, die Ferien mit ihrem Enkel zu verbringen. Und Alis Augen beginnen zu leuchten, wenn er von seinem Urlaubswunschland Nummer eins, Nigeria, berichtet. Auch wenn er noch nie dort gewesen ist, er hat viel über das Land gelesen und „irgendwann werde ich dorthin reisen“, sagt er. Ungeachtet dessen ist sein Urteil schon jetzt mehr als nur überzeugend: „Sehr coole Menschen, sehr schönes Land, exotisches Essen.“ Und mit den Menschen Party machen, das wollen eigentlich alle. Bis auf Natalia: Sie liebt Schweden. Sie kennt das Land bereits von einigen Urlauben in der Vergangenheit. „Die Ruhe und die Natur in Schweden sind wunderschön“, fasst sie die Vorzüge ihres Ferien-Favoriten in Skandinavien zusammen.
So entsteht ein wunderbares Gespräch darüber, wie und wo man seine Ferien am liebsten verbringt. Das Schöne: Alle beteiligen sich. Gänzlich unbemerkt bleibt dabei, wie schnell die Zeit vergeht. Wie im Flug! Nach zwei Stunden landen alle wieder im Hier und Jetzt, wo Judith ihren Kurs mit ihrem ansteckenden Lachen, einer Hausaufgabe und einem guten Gefühl ins Wochenende verabschiedet: „Bis nächste Woche.“
Text & Screenshots: Enno Jochen Zerbes