„Edgar, kannst du mir helfen?“, bittet der sechsjährige Azal seinen Freund; er soll ihm helfen, Zahlen zu schreiben. Die beiden sitzen mit Zettel und Stiften in einem Klassenzimmer in der Geisfelder Straße und lernen an diesem Nachmittag nicht nur wie man Zahlen schreibt. Hier findet seit einigen Wochen eine Vorschule für Flüchtlingskinder statt.
Vorne eine Tafel, Spiele in den Regalen, eine Weltkarte an der Wand – so sieht das kleine Zimmer in Bamberg Ost aus. Als ich das Gebäude betrete, tummeln sich viele Kinder vor dem Eingang. Azal zeigt mir sein Klassenzimmer, in dem der Unterricht stattfindet. In der Mitte bauen die Lehrer und Kinder einen Stuhlkreis auf und schon kann der Vorschulunterricht losgehen.
Jeden Dienstag und Donnerstag wird hier gemalt, geschrieben und gespielt – und das alles auf Deutsch. Mit den Vorschullehrern und auch miteinander sprechen die Kinder Deutsch, um sich später in der Schule im deutschen Unterricht zurechtfinden zu können. Ziel ist es, den Kindern spielerisch die deutsche Sprache und die Kultur näherzubringen. „Azal, Deutsch sprechen!“, erinnert Edgar seinen Freund an den Grundsatz der Vorschule. In erster Linie sollen die Kinder diejenigen Fertigkeiten erlernen, die man als deutscher Erstklässler im Kindergarten und in seiner Familie gelernt hat. Wie beispielsweisen den Umgang mit Papier, Schere und Stiften. Dabei sollen die Kinder stillsitzen, den Lehrern zuhören, selber erzählen und auf ihre Klassenkameraden Rücksicht nehmen.
Seit Ende März findet der Unterricht mit fünf bis acht Flüchtlingskindern in der Unterkunft regelmäßig statt. Die Lehrerin und Netzwerkerin von Freund statt fremd Birgit Wilke und die Grundschullehrerin der Wunderburgschule Inge Grimm haben dieses Projekt ins Leben gerufen. Da es Kinder in der Gemeinschaftsunterkunft gibt, die seit fast einem Jahr trotz Kindergartenalters keinen Kindergartenplatz bekommen haben, aber im September eingeschult werden sollen, wurde die Idee zu diesem ehrenamtlichen Projekt geboren. Die Fünf- und Sechsjährigen kommen für diese Förderung in einem kleinen Klassenzimmer in der Geisfelder Straße zusammen. „Wir haben hier diesen gut ausgestatteten Unterrichtsraum, deswegen ist dieser Ort für unsere Vorschulkinder bestens geeignet“, erzählt Birgit.
Zweimal in der Woche kommen je zwei hochmotivierte Pädagogen in die Geisfelder Straße. Die Kinder lieben Annika Setzer, Sarah Kochanek, Lydia Schnitzer und Oliver Stegemann, die sich hingebungsvoll um ihre Schützlinge kümmern. Die Lehrersuche sei aufwändig gewesen, da der Unterricht Vorbereitung erfordere und es Menschen mit pädagogischer Erfahrung sein sollten, berichtet Birgit. Dazu hat nicht jeder Ehrenamtliche Zeit. Alles, was im Unterricht gemacht wird, wird in einer Art Klassenbuch dokumentiert. So kann jeder Lehrer nachvollziehen, was der Inhalt der Vorstunde war und eine zielführende Arbeit wird möglich.
Das Thema dieses Donnerstagnachmittags sind die Körperteile. „Ich habe vier Arme“, behauptet die sechsjährige Jenna, als Sozialarbeiter Thomas und Lehramtsstudent Oliver die Kinder fragen, welche Körperteile sie schon kennen. Thomas greift zu seiner Gitarre und bringt ihnen den „Körperteile Blues“ bei. So können sich die Kinder die Begriffe Bauch, Auge, Hals und die der anderen Körperteile einprägen. „Das geht von Kopf bis Fuß“, rufen alle, während sie tanzen.
Im Anschluss malen und schreiben die Kinder an dem großen Tisch, den alle zusammen für den Tanz beiseite gestellt haben. Thomas stellt sich an die Tafel und zeigt der Gruppe, wie man eine sechs schreibt. „Ich kann sogar schon bis elf zählen“, erzählt der fünfjährige Edgar stolz. Danach lebt sich die kleine Klasse kreativ aus, indem sie andere Personen malen – ihre Mütter, ihre Väter oder Freunde. „Das sieht ja auch abenteuerlich aus“, kommentiert Oliver Edgars Bild, der gerade Azal malt. Die beiden Lehrer lassen der künstlerischen Freiheit der Kinder freien Lauf. Am Ende kommt auf jedes fertige Bild als Belohnung ein Stempel.
Mit dem Spiel „Mein rechter rechter Platz ist frei“ geht die Stunde in der Geisfelder Straße zu Ende. Zum Abschied geben sich alle die Hand und schauen sich dabei in die Augen. Dieses ganz alltägliche Verabschiedungsritual ist für die Kinder, die allesamt aus anderen Kulturkreisen kommen, neu. Auch solche einfachen Dinge werden hier in der Vorschule vermittelt.
Freund statt fremd wird die Flüchtlingskinder über den Sommer bis zum Schulbeginn unterstützen, damit sie den Schuleintritt schaffen können. Danach wird es für die Kinder eine tägliche Hausaufgabenbetreuung in der Geisfelder Straße geben, um ihnen auch weiterhin im Schulalltag zu helfen.
Text und Bilder: Luise Land