Die öffentliche Aufmerksamkeit für Rückführungen, Abschiebungen und die davon Betroffenen reicht oft nur bis zur eigenen Landesgrenze. Weniger interessiert dabei bislang, was mit Abgeschobenen in ihren Herkunftsländern geschieht, wie sie dort leben und überleben. Am Mittwoch, den 11.12.2019, hatte daher der Bayrische Flüchtlingsrat in Kooperation mit Freund statt fremd sowie der Petra Kelly Stiftung zu einer Lesung und Podiumsdiskussion über deutsche Rückkehrpolitik und bayerische Ankerzentren ins Lui20 eingeladen. Unter dem Leitspruch „Rückkehr ist mehr als Politik“ wurde darüber gesprochen, was mit geflüchteten Menschen nach deren Abschiebung passiert.
Als Diskussionsanregung diente zunächst eine Lesung aus einem aktuellen Sammelband der Heinrich-Böll-Stiftung: Unter dem Titel „Dahin, wo der Pfeffer wächst“ versammelt die Publikation Beiträge über Probleme und Schwierigkeiten, mit denen Rückkehrer in Afghanistan, Syrien, Tunesien, Senegal und im Kosovo konfrontiert sind.
Carmen Romano, Bildungsreferentin der Petra Kelly Stiftung, moderierte den Abend und die anschließende Diskussion mit Kirsten Maas-Albert, Leiterin Referat Afrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung, Thomas Bollwein vom Bayerischen Flüchtlingsrat, dem Journalisten und Autor einiger Beiträge des Bandes Thomas Schmid sowie den beiden Geflüchteten Adama aus dem Senegal und Xhulia Ibrahimaj aus Albanien.
Beispiel Kosovo
Thomas Schmid berichtete über den Kosovo: „Für Kosovaren war Auswandern ganz normal“. Im Kosovo habe die Migration eine lange Tradition. Es habe in der Geschichte des Landes immer wieder Migrationswellen gegeben, da das Leben in dem Balkanstaat oft sehr ärmlich sei und die politische Geschichte immer wieder Teile der Bevölkerung zur Flucht gezwungen habe. Die aktuellen Fluchtursachen sind seines Erachtens vor allem ein Mangel an Arbeit und Lebensperspektiven, woran sich nicht so schnell etwas ändern ließe. Nun ist auch der Kosovo ein sicheres Herkunftsland. Schmid prognostizierte, dass trotz des Aufbaus einer Jobvermittlung mit EU-Hilfen, die Arbeitslosigkeit wegen des geringen Wirtschaftswachstums dennoch ansteigen werde. Der Auslandsreporter kritisierte, dass Menschen aus dem Kosovo zu den wenigen EU-Ländern zählen, die noch ein Visum für die EU benötigen. Eine Visa-Liberalisierung würde für die Menschen des Landes bedeuten, dass sie die Kosten für die Flucht deutlich geringer wären und die Menschen vielleicht eher zurückgehen würden, weil sie nicht all ihre Ersparnisse für die Flucht ausgeben müssten.
In bayerischen Ankerzentren
Teil der Diskussion waren auch die bayerischen Ankerzentren und die Situation der Menschen darin. Der Senegalese Adama lebt im Bamberger Ankerzentrum. Er berichtete über Kommunikationsprobleme, Perspektivlosigkeit und Langeweile. In der Regel blieben Geflüchtete wie er rund 18 Monate ohne Betätigungsmöglichkeit in dem Zentrum. Kirsten Maas-Albert beschrieb diese Spanne als „verschwendete Lebenszeit“, sie sei aber politisch so gewollt, um die Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Genauso wie die Geldkürzungen (auf 100 Euro pro Monat) bei Ausreisepflichtigen mit einer Duldung ohne Pass. Der Bayrische Flüchtlingsrat unterstützt die Geflüchteten und geht z.B. gegen die Geldkürzungen juristisch vor.
„Wenn wir die Lager nicht schließen können, müssen wir sie öffnen“. Dieser Ansicht ist Thomas Bollwein vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Seiner Meinung nach verstärkt eine Lagerunterbringung die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit der lokalen Bevölkerung. Von einer Öffnung der Lager für die Bevölkerung und auch für die Geflüchteten, die dadurch mehr Möglichkeiten der Entfaltung hätten, erhofft er sich eine Reduktion des psychologischen Drucks auf die Geflüchteten sowie mehr Offenheit in der Bevölkerung.
Bekämpfung der Fluchtursachen und mehr Arbeitsmöglichkeiten
Nach Ansicht von Schmid ist es besonders wichtig, dass die ökonomische Entwicklung in den Ländern gefördert und ein Brain-Drain reduziert wird. Die derzeitige Handelspolitik verunmögliche dies, da die Länder mit billigen Artikeln überschüttet würden und keine eigene Industrie aufbauen können. Eine gewisse wirtschaftliche Abschottung der Länder sieht er hier als einzigen Weg. Für Kerstin Maas-Albert, Leiterin Referat Afrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung, wäre es ein erster großer Schritt, einfach mal zuzuhören und zu schauen, wo die Probleme in den Ländern liegen, anstatt nur die eigene Politik zu verfolgen, die oftmals an den Problemen vorbeigehe.
Die Diskussionsteilnehmer waren sich darin einig, dass es zu wenig legale Arbeitsmöglichkeiten für Migranten in Europa gibt und die repressive Politik der Bundesregierung sowie der Landesregierungen in Zeiten des Fachkräftemangels nicht sinnvoll sei. Ihrer Meinung nach sollten nicht alle Abgelehnten automatisch abgeschoben werden. So könnte ihnen z. B. die Chance gegeben werden, in Mangelberufen, wie im Bereich der Pflege (vgl. Initiative „Spurwechsel“), anzufangen und dadurch eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. So könnte eine offenere Migrationspolitik entwickelt werden, die sich sowohl am internen Bedarf der Wirtschaft als auch an der Situation der Geflüchteten orientiert.
Was kann jeder Einzelne tun?
Bildungsreferentin Carmen Romano betont, wie wichtig menschliche Begegnungen für die Geflüchteten sind: Menschen könne direkt geholfen werden, indem man sie als Individuum mit eigener Geschichte betrachte und sich für ihre Situation interessier. Adama, Geflüchteter aus dem Senegal, betonte denn auch, wie wichtig solch individuelle Hilfe, Unterstützung und Rückhalt gerade für die Flüchtlinge aus dem Ankerzentrum seien. Thomas Bollwein vom Bayerischen Flüchtlingsrat hob die Relevanz von Veranstaltungen wie dieser hervor, da sie Aufmerksamkeit erzeugen und Probleme aufzeigen. Der Arbeitskreis Politik von Freund statt fremd beispielsweise beschäftigt sich aktiv mit solchen Themen und leistet Aufklärungsarbeit.
Text und Foto: Sarah Dahnen